Erinnerung an Joseph Krekeler

Joseph Krekeler war Oberbürgermeister der Stadt Pirmasens von 1999 bis 2003. Er war ein guter Oberbürgermeister, beliebt bei Jung und Alt und über die Parteigrenzen hinweg, und er war gerne Oberbürgermeister. Es schmerzte ihn, dass er wegen der Altersgrenze nicht ein zweites Mal antreten konnte.

Ich lernte ihn bei einem Treffen der Herausgeber der Hugo-Ball-Ausgabe kennen, zu dem Krekeler in ein Hotel nach Zürich eingeladen hatte. Nach den intensiven Arbeitsgesprächen gab es ein gutes Essen. Den Etat der Stadt Pirmasens hatten wir nicht damit belastet. Krekeler gelang es erstaunlicherweise immer, Sponsoren zu gewinnen. Und so kann auch die große Ausgabe sämtlicher Werke Hugo Balls ohne Mittel der Stadt Pirmasens durchgeführt werden. Sie ist weit fortgeschritten, ihre Finanzierung ist aber jetzt schon gesichert: das Werk von Joseph Krekeler. Jeder Band, der neu erscheint, kündet von seinem Ruhm, wenn auch sein Name darin nicht erwähnt wird.

Beim Apero, wie man in Zürich sagt, im Robert-Walser-Archiv, das auch den Nachlass von Hugo Ball beherbergte, inzwischen ist es nach Bern umgezogen, kam ich mit Krekeler ins Gespräch. Der Sekt löste meine Zunge, seine hatte das nicht nötig. Einen so offenen, so heiteren, dem Leben und den Menschen zugewandten politischen Mandatsträger hatte ich nicht erwartet. Er benahm sich ganz anders, als ich es von Amtspersonen gewohnt war. Wir verstanden uns rasch. Er erzählte Anekdoten, auch aus seinem Internat, in dem er so gut Latein gelernt hatte, dass er immer wieder seine Rede mit lateinischen Sprüchen garnierte, die früher jeder Gebildete kannte, aber heute kaum noch jemand: alea jacta est; hic Rhodus, hic salta; timeo danaos ut dona ferentes usw. Ich musste mein arg verblasstes Latein hervorholen, um mühsam mithalten zu können. Es waren zwei schöne Tage. Und immer, wenn wir danach in Pirmasens zusammentrafen in Sachen Hugo Ball, war Joseph Krekeler der alles und alle belebende Motor. Wo andere Probleme sahen, sah er Lösungen, wo andere Bedenken hatten und deshalb nicht zum Handeln kamen, handelte er, aber nie ruhmredig, sondern freundlich unauffällig. So habe ich es jedenfalls wahrgenommen. Natürlich endeten unsere Konferenzen immer bei Essen und Trinken und guten Gesprächen in einem italienischen Restaurant oder in Kuchems Braustube. Ich fuhr gerne nach Pirmasens.

In Zürich hatte ich zu Krekeler gesagt: Ich finde schön, dass Pirmasens so viel für Hugo Ball tut. Er antwortete: Wir haben ja sonst nichts. Er meinte: Keine anderen Größen in Literatur und Kunst. Er merkte früh, dass Hugo Ball, der an einem entscheidenden Punkt die Entwicklung der klassischen Moderne in der Kunst vorantrieb, eine große Gestalt ist, die aus Pirmasens gebürtig, den Ruhm der Stadt vermehrt. Und so ging es ihm letztlich nicht um Hugo Ball, sondern um seine Stadt und zu der gehörte eben auch Hugo Ball.

Joseph Krekeler am 4. April 2007. Foto: Bernd Wacker

Alles, was in mehr als zwei Jahrzehnten in Sachen Hugo Ball in Pirmasens geschehen ist, verdanken wir vor allem zwei Männern: Ernst Teubner, dem langjährigen Leiter der Stadtbibliothek, der die Hugo-Ball-Sammlung aufbaute, der die große Hugo- Ball Ausstellung zum 100. Geburtstag des Dichters schuf, der dreißig Mal den Hugo-Ball-Almanach herausgab, in dem bekannte Literaturwissenschaftler aus aller Welt über Hugo Ball, Emmy Ball-Hennings und die Dadaisten publizieren. Dass dies alles gelang, dazu bedurfte es der Unterstützung in der Stadt, nicht nur der Finanzierung. Und hier war Joseph Krekeler der immer zuversichtliche Beweger, der um Unterstützung warb in breiten Kreisen des Stadtrats über die Parteigrenzen hinweg und bei gewichtigen Pirmasensern. So sicherte er Teubners Arbeit und die anderer. Ohne ihn wäre vieles nicht „gelaufen“.

Als Hans Burkhard Schlichting, der Vorsitzende des Beirats der Hugo- Ball- Gesellschaft, mich fragte, ob ich bereit wäre, den Vorsitz der Gesellschaft zu übernehmen, sagte ich Ja, an  Joseph Krekeler denkend, der mir schon zur Seite stehen würde. Krekeler rief mich dann noch einmal an, um es aus meinem Munde zu hören. Ich sagte: Ich nehme an, denn ich verlasse mich auf Sie. Er lachte. Es war das letzte Mal, dass ich mit ihm sprach. Mit nur 72 Jahren starb er im August 2007 nach kurzer Krankheit, aus dem tätigen Leben gerissen. Ein schmerzhafter Verlust, nicht nur für die Hugo- Ball- Gesellschaft, deren Gründungsmitglied er war, dessen zweiter Vorsitzender und schließlich Geschäftsführer. Doch immer, wenn wir nun ohne ihn in Pirmasens zusammensitzen, fällt sein Name: Das hätte Krekeler so gemacht oder das hatte Krekeler damals durchgesetzt. Er ist immer noch da.

In Zürich schenkte er jedem Herausgeber eine Jerichow-Rose aus dem Gartenbauamt der Stadt Pirmasens. Das ist eine wurzellose trockene Wüstenblume, die der Wind umherfegt. Kommt aber Regen, füllt sie sich mit Wasser, breitet sich aus und ergrünt. Ich habe meine Rose aufbewahrt. Zusammengekrümmt liegt sie auf einer Schale, grau und unansehnlich. Manchmal gieße ich Wasser darauf, dann breitet sie sich wohlig aus, und gieße ich mehrere Tage lang, dann ergrünt sie. Es ist wie Tod und Auferstehung.

Prof. Dr. Hans Dieter Zimmermann

Erster Vorsitzender der Hugo-Ball-Gesellschaft, Pirmasens

Bakunin-Brevier erschienen

Hugo Ball
Michael Bakunin
Ein Brevier
Herausgegeben von Hans Burkhard Schlichting unter Mitarbeit von Gisela Erbslöh
(= Hugo Ball: Sämtliche Werke und Briefe. Hg. von der Hugo-Ball-Gesellschaft, Pirmasens. Bd. 4, Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt Bd. 86).
€ 39,00
579 Seiten
ISBN-10: 3-89244-778-0
ISBN-13: 978-3-89244-778-8

Angesichts des Weltkrieges war es für Hugo Ball eine Sache des publizistischen Gewissens, seine Zeitgenossen mit Denkansätzen zu konfrontieren, die frei von Chauvinismus waren. Da er die militante Staatsvergottung als Ursache der europäischen Katastrophe begriff, suchte er nach unabhängigen Gegenkräften. Neben Nietzsche wurde für ihn dabei der russische Revolutionär Bakunin (1814-1876) zur Schlüsselfigur.
Bakunins abenteuerliches Leben war damals bestenfalls Legende; kenntnislose Vorurteile und Vorverurteilungen standen einer unvoreingenommenen Aufnahme seiner Schriften entgegen.
Als Ball sich 1915 daranmachte, den Klassiker des libertären Denkens für breitere Leserkreise zu erschließen, waren Bakunins Werke im deutschen Sprachraum erst in geringem Umfang zugänglich. Entgegen den Tendenzen der biographischen Mode seiner Zeit insistiert Ball auf der Wirkung des Authentischen: Er schildert nicht, sondern montiert ausgewiesene Dokumente. Vieles war aus entlegenen Quellen zu sammeln und erstmals zu übersetzen. Die Bakunin-Studien begleiteten Balls dadaistisches Engagement, wurden zum Fundus seiner »Kritik der deutschen Intelligenz« und rückten diese in ein neues Licht, als Ball auf den Bakunin-Kritiker Carl Schmitt traf.
Das Bakunin-Brevier blieb Fragment, da sich nach anfänglichem Publikationsinteresse von René Schickele und Erich Reiss kein Verleger fand. Unter Balls unveröffentlichten Werken ist das Brevier das umfangreichste. Neunzig Jahre nach seiner Projektierung kann es nun erstmals erscheinen.
(Verlagsankündigung)

Weit mehr als Hugo Balls Ehefrau

Zum 125. Geburtstag von Emmy Ball-Hennings

Dass Emmy Hennings lange Jahre nur als Ehefrau des berühmten Hugo Ball gesehen wurde, lag zu einem nicht geringen Teil an ihr selbst. Gleich drei Erinnerungsbücher an ihn hat sie nach seinem Tod veröffentlicht, ein viertes existiert darüber hinaus als Manuskript. Die Nachwelt hat ihr dieses Engagement nicht gedankt: Allzu sehr habe sie das Bild Balls nach ihren eigenen Vorstellungen zurechtgerückt, hieß es immer wieder, und diese Vorstellungen waren vor allem geprägt von ihrem katholischen Glauben.
Mittlerweile wird, im Zuge einer stärkeren Entdeckung des religiösen Hugo Ball, erkannt, dass sie in vielen Einschätzungen doch nicht so falsch lag. Abbitte muss man aber nicht nur hier tun, sondern zweifellos auch in der Einschätzung ihres eigenen Werks, das sie selbst stets im Schatten Balls stehend gesehen hat. Inzwischen wird bewusst, dass sie zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts gezählt werden muss. Ihre Lyrik, ihre autobiographischen Erinnerungsbücher wie „Blume und Flamme“, „Das flüchtige Spiel“, „Das Brandmal“ und „Gefängnis“ oder ihre Briefe sind Zeugnisse einer außergewöhnlichen literarischen Begabung.
Damit einher geht die Faszination, die ihre Person und ihr Leben auf viele ausüben, nicht zuletzt auf Künstler. So beschäftigt sich anlässlich des Gedenktags die tschechisch-österreichische Künstlerin Swetlana Heger unter dem Titel „Out of the Shadow / Into the Fog“ in einer neuen Arbeit mit Emmy Hennings. Ausgestellt wird sie im Februar im Züricher Cabaret Voltaire. Und der junge, erfolgreiche Karlsruher Künstler Matthias Bitzer, dessen Werke Malerei, Skulptur und Zeichnung kombinieren, hat aktuell eine Ausstellungstrilogie zu Emmy Ball-Hennings vorgelegt, die ihm als Chiffre für einen möglichen Lebenslauf dient: „Madame Halbwelt war Schauspielerin, Dichterin, Prostituierte, Muse, Modell und Mitbegründerin des Dadaismus – ein Leben zwischen Abgrund und Glanz, Scheitern und Überleben“.
Dieses Leben begann vor 125 Jahren in Flensburg. Dort wurde sie als Emma Maria Cordsen am 17. Januar 1885 geboren, einziges Kind in einer kleinbürgerlichen Familie. Der Vater war Seemann. Früh erwachte bei ihr der Wunsch, ihrem Milieu zu entfliehen. Mit 19 heiratete sie den Schriftsetzer und Schauspieler Joseph Hennings. Die Ehe scheiterte bald, und Emmy Hennings zog mit einer Wanderschauspieltruppe umher. 1911 konvertierte sie zum Katholizismus. Viele Jahre lebte sie in der Berliner und Münchener Boheme, wo sie in Kabaretts auftrat.
1913 lernte sie in München den ein Jahr jüngeren Pirmasenser Schriftsteller Hugo Ball kennen. Mit ihm ging sie 1915 nach Zürich, wo die beiden im Jahr darauf das Cabaret Voltaire eröffneten und zu den Mitbegründern Dadas gehörten. 1920 heirateten sie und zogen sich ins Tessin zurück, wurden Nachbarn und enge Freunde von Hermann Hesse. Als Ball 1927 starb, brach für Emmy Hennings eine Welt zusammen. Sie überlebte ihn um mehr als zwanzig Jahre; es waren Jahre der Not und Krankheit, aber auch voller Produktivität. Fünfzehn Bücher sind von ihr bis zu ihrem Tod 1948 erschienen, ein einziges davon („Gefängnis“) ist momentan lieferbar.
Dennoch wird sie wahrgenommen, wie etwa gerade eine halbstündige Sendung des Deutschlandfunks zu ihrem 125. Geburtstag bewies. Umso mehr wäre es deshalb an der Zeit, ihre Werke, zumindest die wichtigsten, in einer großen Ausgabe neu aufzulegen – ähnlich der Hugo Balls. Die Pirmasenser Hugo-Ball-Sammlung hat ihr Werk übrigens ebenso archiviert wie das ihres Mannes, mit dem sie zeitweise so eng zusammenarbeitete, dass sie etwa von einem Gedicht im Nachhinein nicht mehr sagen konnten, wer von beiden es eigentlich geschrieben hat.
Dabei hat Emmy Ball-Hennings einen ganz eigenen Ton gefunden, der eine große Sensibilität verrät. Ihre beeindruckende Fähigkeit des Mitempfindens beschreibt sie selbst in einem Gedicht: „Ich trage soviel fremdes Leid / Und wein’ für andre viele Tränen. / Ich fühle unbekanntes Sehnen / Und gebe fremde Zärtlichkeit.“

Eckhard Faul in der Pirmasenser Zeitung, Nr. 13 vom 16.1.2010, S. 22.