Weit mehr als Hugo Balls Ehefrau

Zum 125. Geburtstag von Emmy Ball-Hennings

Dass Emmy Hennings lange Jahre nur als Ehefrau des berühmten Hugo Ball gesehen wurde, lag zu einem nicht geringen Teil an ihr selbst. Gleich drei Erinnerungsbücher an ihn hat sie nach seinem Tod veröffentlicht, ein viertes existiert darüber hinaus als Manuskript. Die Nachwelt hat ihr dieses Engagement nicht gedankt: Allzu sehr habe sie das Bild Balls nach ihren eigenen Vorstellungen zurechtgerückt, hieß es immer wieder, und diese Vorstellungen waren vor allem geprägt von ihrem katholischen Glauben.
Mittlerweile wird, im Zuge einer stärkeren Entdeckung des religiösen Hugo Ball, erkannt, dass sie in vielen Einschätzungen doch nicht so falsch lag. Abbitte muss man aber nicht nur hier tun, sondern zweifellos auch in der Einschätzung ihres eigenen Werks, das sie selbst stets im Schatten Balls stehend gesehen hat. Inzwischen wird bewusst, dass sie zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts gezählt werden muss. Ihre Lyrik, ihre autobiographischen Erinnerungsbücher wie „Blume und Flamme“, „Das flüchtige Spiel“, „Das Brandmal“ und „Gefängnis“ oder ihre Briefe sind Zeugnisse einer außergewöhnlichen literarischen Begabung.
Damit einher geht die Faszination, die ihre Person und ihr Leben auf viele ausüben, nicht zuletzt auf Künstler. So beschäftigt sich anlässlich des Gedenktags die tschechisch-österreichische Künstlerin Swetlana Heger unter dem Titel „Out of the Shadow / Into the Fog“ in einer neuen Arbeit mit Emmy Hennings. Ausgestellt wird sie im Februar im Züricher Cabaret Voltaire. Und der junge, erfolgreiche Karlsruher Künstler Matthias Bitzer, dessen Werke Malerei, Skulptur und Zeichnung kombinieren, hat aktuell eine Ausstellungstrilogie zu Emmy Ball-Hennings vorgelegt, die ihm als Chiffre für einen möglichen Lebenslauf dient: „Madame Halbwelt war Schauspielerin, Dichterin, Prostituierte, Muse, Modell und Mitbegründerin des Dadaismus – ein Leben zwischen Abgrund und Glanz, Scheitern und Überleben“.
Dieses Leben begann vor 125 Jahren in Flensburg. Dort wurde sie als Emma Maria Cordsen am 17. Januar 1885 geboren, einziges Kind in einer kleinbürgerlichen Familie. Der Vater war Seemann. Früh erwachte bei ihr der Wunsch, ihrem Milieu zu entfliehen. Mit 19 heiratete sie den Schriftsetzer und Schauspieler Joseph Hennings. Die Ehe scheiterte bald, und Emmy Hennings zog mit einer Wanderschauspieltruppe umher. 1911 konvertierte sie zum Katholizismus. Viele Jahre lebte sie in der Berliner und Münchener Boheme, wo sie in Kabaretts auftrat.
1913 lernte sie in München den ein Jahr jüngeren Pirmasenser Schriftsteller Hugo Ball kennen. Mit ihm ging sie 1915 nach Zürich, wo die beiden im Jahr darauf das Cabaret Voltaire eröffneten und zu den Mitbegründern Dadas gehörten. 1920 heirateten sie und zogen sich ins Tessin zurück, wurden Nachbarn und enge Freunde von Hermann Hesse. Als Ball 1927 starb, brach für Emmy Hennings eine Welt zusammen. Sie überlebte ihn um mehr als zwanzig Jahre; es waren Jahre der Not und Krankheit, aber auch voller Produktivität. Fünfzehn Bücher sind von ihr bis zu ihrem Tod 1948 erschienen, ein einziges davon („Gefängnis“) ist momentan lieferbar.
Dennoch wird sie wahrgenommen, wie etwa gerade eine halbstündige Sendung des Deutschlandfunks zu ihrem 125. Geburtstag bewies. Umso mehr wäre es deshalb an der Zeit, ihre Werke, zumindest die wichtigsten, in einer großen Ausgabe neu aufzulegen – ähnlich der Hugo Balls. Die Pirmasenser Hugo-Ball-Sammlung hat ihr Werk übrigens ebenso archiviert wie das ihres Mannes, mit dem sie zeitweise so eng zusammenarbeitete, dass sie etwa von einem Gedicht im Nachhinein nicht mehr sagen konnten, wer von beiden es eigentlich geschrieben hat.
Dabei hat Emmy Ball-Hennings einen ganz eigenen Ton gefunden, der eine große Sensibilität verrät. Ihre beeindruckende Fähigkeit des Mitempfindens beschreibt sie selbst in einem Gedicht: „Ich trage soviel fremdes Leid / Und wein’ für andre viele Tränen. / Ich fühle unbekanntes Sehnen / Und gebe fremde Zärtlichkeit.“

Eckhard Faul in der Pirmasenser Zeitung, Nr. 13 vom 16.1.2010, S. 22.